Vita

Wie ich wurde

Fingerzeige für meine Biographen

VON Anton Kuh

Als ich geboren wurde (das Datum nennt der Kürschner), gehörte die Ringstraße noch zu Europa; Österreich war noch nicht von der Steiermark annektiert.

Doch gab es damals bereits Vorzeichen unserer staatlichen Zukunft. Der Knabe Kuh hat sie aus den Zurufen seiner Mitschüler: „Kuh, mach muh!“ oder „Die Kuh gibt Milch und Butta, wir geben ihr das Futta“ sozusagen am eigenen Leib erlebt. Die Rufer sind inzwischen zu Bundeskanzlern emporgeblüht.

Wer den Namen „Kuh“ trägt, ist zum Satiriker geradezu prädestiniert. Die Dummheit der Mitmenschen, die anderen erst zwanzig Jahre später klar wird, tönt ihm mit den ersten Lebensschritten entgegen. So hat mich der Sarkasmus frühzeitig in seine harte Zucht genommen. Um allen späteren Wortspielen die Spitze abzubrechen, erwählte ich in jener Zeit schon zu meinem Wahlspruch den Satz: „Quod licet bovi, non licet Jovi“ – was der Kuh darf, ist kaum dem lieben Gott erlaubt.

Meine Schultage waren von zwei Ereignissen ausgefüllt: einem simulierten Selbstmordversuch an der Ferdinandsbrücke, für den ich der häuslichen Züchtigung übergeben wurde; und der Lektüre von Shakespeares Werken.

Mein Vater hatte bessere Beziehungen zur Regierung als ich zu meinen Lehrern. Infolgedessen stolperten über meine Matura ungefähr drei bis vier Unterrichtsminister.

Meine ersten journalistischen Gehversuche begann ich – Biographen aufgepaßt: ich bin Wiener von Geburt – als Kritiker an einem Prager Montagsblatt.

Der Krieg findet Kuh, der an einem für die anderen höchst schmerzhaften Nerventic leidet, in den vordersten Reihen des Hinterlandes. In dieser Zeit etwa wird auch seine Befähigung zum Stegreifsprecher entdeckt. Sie findet bei den Zeitgenossen verschiedene Beurteilung. Er selber glaubt mit diesen Vorträgen ein Mittel entdeckt zu haben, wie man dem alten Intellektuellen-Laster: den anderen nicht zu Wort kommen zu lassen, ungestraft frönen kann; nämlich indem man Entree dafür einhebt.

Die Kaffeehäuser „Central“ und „Herrenhof“ rechneten mich seit Kriegsmitte (wie sogar aus Reisehandbüchern zu entnehmen ist) zu ihrem intimsten Besitz. Ich aber kehrte ihnen, undankbar wie ich bin, den Rücken und ging – anno 26 – nach Berlin.

Zum Abschied spielte ich in Reinhardts Josefstädter Theater den Kritiker Gunn in „Fannys erstes Stück“. Meine Aufgabe ging dahin: mich selber darzustellen. Was einen Kritiker zu den Zeilen veranlaßte: „Als Gunn spielte Herr Kuh sich selber. Aber er übertrieb. So penetrant, wie er sich auffaßte, ist er wieder nicht.“

Seit sechs Jahren habe ich den Anschluß an Deutschland vollzogen, Beschwerden ans Bundeskanzleramt sind darüber noch nicht eingelaufen.

So weit meine Biographie. Was jedoch meinen Nekrolog anlangt, so habe ich die Wünsche hierüber bereits seinerzeit einem Interviewer kundgegeben, der eine Umfrage unter dem Titel: „Wie wünschen Sie sich Ihren Nachruf?“ veranstaltete. Ich fragte ihn, wer alles ihm denn schon geantwortet habe. Er zählte auf: Alfred Polgar, Egon Friedell, Egon Erwin Kisch. Worauf ich die Sätze hinschrieb:

„Alfred Polgar, Egon Friedell, Egon Erwin Kisch – sie alle deckt längst der kühle Rasen. Nun ist auch er von uns gegangen: Anton Kuh.“

(Morgenzeitung und Handelsblatt, Jg. 20, Nr. 335, 4.12.1932, S. 4-5)